glueck

Alle Wesen wollen glücklich sein. Das ist eine der grundlegenden Weisheiten des Buddhismus. Eine andere ist: Es gibt kein Leben ohne Leiden.

Beides gehört zusammen. Wenn ich verstehe, dass jedes Wesen nur versucht glücklich zu sein, verstehe ich auch die Wurzel seines Leidens. Hier beginnt Mitgefühl.

Glück wird zum Problem

Auch ich möchte natürlich glücklich sein. Vielleicht war es die Sehnsucht nach einem einfachen, einfach zu wissenden und einfach zu haltenden Glück, die mich Zuflucht auf dem Meditationskissen suchen ließ. Allerdings hat sich im Laufe der wenigen Jahre, die ich nun praktiziere, meine Vorstellung vom Glück ziemlich gewandelt. Ist Glück am Ende nichts anderes als eine Idee?1

Diese Idee jedenfalls ist ziemlich präsent; das Glück hängt als Leitstern über jeder Selbstoptimierungs- und Selbstverwirklichungsstrategie, es winkt als Trophäe all unserer geistigen wie körperlichen Bemühungen, es ist der Gewinn, den man sich verspricht, um lange, arbeitsame Tage, um Strapazen und Schmerzen, um Stress und Verausgabung aushalten zu können. Wir leben (arbeiten, trainieren, kämpfen, lernen, wachsen …) - um glücklich zu sein. Irgendwann, am besten bald.

Und weil jeder glücklich sein möchte, keiner aber glücklich ist, ist das Thema Glück allgegenwärtig. Glücksforscher werden befragt, Wege zum Glück beschrieben, und der wirklich Fleißige kann Glücklichsein lernen. Glücklich werden, glücklich bleiben, glücklich sein - diesem Ziel werden alle Anstrengungen untergeordnet, dafür lohnt es sich, zu meditieren, und damit lassen sich Bücher und Zeitschriften füllen - so auch die jüngste Ausgabe von Ursache & Wirkung, einer meist sehr lesenswerten buddhistischen Zeitschrift aus Österreich.2

Der Schwerpunkt zum Thema Glück gipfelt in einer Anleitung zum Unglücklichsein, deren letzter Punkt heißt: Meditieren Sie niemals! Ist es wirklich so einfach? Kommt man mit Buddha zum Glück? Ist Glück überhaupt das Ziel buddhistischer Praxis?

Ist Glücklichsein wirklich so schwer?

fragt etwa Tineke Osterloh in ihrem Beitrag Glücklich sein in einer unglücklichen Welt3:

Viele Menschen fühlen sich trotz der relativen Ruhe und Sicherheit in Europa nicht wirklich glücklich, sondern eher getrieben, gestresst, depressiv oder einsam und leiden unter mehr oder weniger starken Ängsten.

Die Antwort auf Osterlohs Frage ist einfach und liegt auf der Hand: Man muss nur die Stille des Geistes, die Kraft der Liebe entdecken, dann hat man den Schlüssel zu “tief empfundenem Glück”.

Glück? Nichts als Probleme

Ehrlich gesagt, tue ich mich damit schwer. Wenn ich mich zum Zazen setze oder gar Tage lang auf dem Kissen der Gedanken harre, die da kommen und irgendwann wieder gehen, geht es mir schon lange nicht mehr um Glück. Der Königsweg zum Glücklichsein ist diese stumme, nicht selten ermüdende und fordernde Praxis doch eben nicht! Was ich im Zen finde, ist nicht das gesuchte, einfach zu wissende und gar zu haltende Glück - sondern, wenn ich es denn schaffe, für Momente ruhig zu werden, die Abwesenheit davon. Es gibt nichts zu wissen, nichts zu halten.

Die Sehnsucht nach Glück ist es, die uns umtreibt; die Vorstellung davon, dass es anderswo, zu einem anderen Zeitpunkt besser oder vielleicht einfach nur anders ist als hier und jetzt. Genau an diesem Punkt, in dieser Differenz aus dem, was hier und jetzt ist, und dem, was ich ersehne, erwarte, erhoffe, entsteht Leiden. Glück bietet keinen Ausweg aus diesem Leiden - es selbst ist Teil des Leidens, Teil der Probleme.

Im Zazen übe ich mich darin, meine Vorstellungen als solche zu erkennen, sie loszulassen und die Realität zu vergegenwärtigen. Dieser imaginäre Punkt in der Zukunft, hinter der nächsten Straßenecke, dieses andere (klügere, reichere, gesundere) Ich - all das verblasst. Was bleibt, ist die stille Gegenwart.

Even though you are practicing zazen, counting your breath like a snail, you can enjoy your life, perhaps even more than taking a trip to the moon. That is why we practice zazen. The most important thing is to be able to enjoy your life without being fooled by things.4


  1. So habe ich das im November 2013 beschrieben. Siehe Glück ist nur eine Idee - www.mariokeipert.de 

  2. Ursache & Wirkung Ausgabe 91, Frühjahr 2015: Mit Buddha zum Glück. Weitere Informationen. 

  3. Zu finden online unter www.ursache.at/spiritualitaet/ethik/655-gluecklich-sein-in-einer-ungluecklichen-welt 

  4. Shunryu Suzuki: Enjoy your Life. In: Shunryu Suzuki: Not Always so. Practicing the True Spirit of Zen, S. 28. Weitere Infos zum Buch gibt es hier. 


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